Cargo-Kulte in der Kommunalpolitik

Cargo-Kulte in der Kommunalpolitik

Haben Sie schon mal was von „Cargo Kulten“ gehört? „Cargo-Kult“ wird heute polemisch als Synonym für eine effektlose, obwohl vom Prinzip her „richtig“ ausgeführte Handlung verwendet.

Cargo Kulte haben ein recht interessante Geschichte, die es für Interessierte mal nachzulesen lohnt. Wikipedia könnte der Start sein, aber auch eine Suche im Internet führt schnell zu interessanten Ergebnissen. Ich begnüge mich hier mit einer vereinfachten Kurzform:

Im zweiten Weltkrieg begannen die Amerikaner im Kampf gegen Japan auf einsamen Inseln im Pazifik Stützpunkte einzurichten. Dazu wurde Land gerodet, Startbahnen eingerichtet, Gebäude für die Technik wie zum Beispiel einen Tower für den Flugbetrieb oder Unterkünfte gebaut. Dann kamen Flugzeuge, landeten oder warfen Fracht ab. Die Flugzeuge wurden per Funk und mit Handzeichen eingewiesen.

Für die staunenden Eingeborenen, die das Treiben beobachteten und so etwas noch nie gesehen haben, waren die Flugzeuge Götter, die durch die Luft fliegen können. Nach der Landung öffneten diese Götter ihren Leib und es wurden interessante Gegenstände aus dem Leib diese Götter geholt. Waren, Nahrungsmittel, Kleidung und vieles mehr. Auf Nachfrage wurde ihnen gesagt, es handelt sich dabei um Cargo (Fracht).

Manchmal erhielten die Eingeborenen Geschenke aus den Lieferungen oder holten sich Reste von den Müllbergen. So fanden Kleidungsstücke, Lebensmittel, Essbesteck oder auch andere interessante Dinge ihren Weg in die Dörfer der Eingeborenen. Überliefert sind interessante Bilder, auf denen ein Häuptling stolz eine Fischkonservendose als Kopfschmuck trägt. Das waren interessante Götter, die da Wohlstand ohne Arbeit bringen konnten.

Plötzlich waren ihnen die Götter nicht mehr gewogen…

Nach Abzug der Amerikaner blieben die Lieferungen der Götter aus. Aber die Eingeborenen waren ja klug. Sie hatten beobachtet, was die Amerikaner taten, um die Götter dazu zu bringen, ihnen Cargo zu liefern. So begannen sie das Verhalten der Soldaten zu imitieren, um damit die Götter wieder zu besänftigen und auch ihnen den Cargo-Segen zu bringen. Sie bauten eigene Landepisten, große Flugzeuge aus Holz, Bambus und Stroh. Sie errichteten Flughafentower, bastelten sich Kopfhörer aus Holz für die Kontaktaufnahme zu den Göttern. Weiterhin hatten sie beobachtet, dass es wohl notwendig ist, mit Holzprügeln herumzupatroullieren sowie die Buchstaben U, S und A auf die Kleidung zu malen. Es half aber nichts, der Zauber blieb aus.

Sie hatten also eigentlich alles „richtig“ gemacht, haben die beobachteten Handlungen imitiert, aber der Effekt blieb aus.

Klingt wie eine lustige Geschichte, doch auch heute gibt es jede Menge „Cargo-Kulte“, also symbolische Handlungen, ein so „Tun als ob“, in der Hoffnung auf Erfolg und öffentliche Anerkennung, ohne die Dinge richtig verstehen zu müssen. In der Regel bleibt bei diesen Handlungen der Effekt aus.

Cargo-Kulte in der Kommunalpolitik?

Heute bezeichnet man Aktivitäten oder Dinge polemisch als Cargo-Kult, um darauf aufmerksam zu machen, dass man an manchen Stellen etwas tut, was vor allem eine unterstellte Wirkung hat, die aber oft bewiesenermaßen tatsächlich ausbleibt oder zumindest gering ist.

Beispiele gibt es zahlreiche, wie die immer wieder neuen Versuche, Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern durch mehr Kontrolle und höhere Strafen beeinflussen zu wollen. Die Situation bessert sich trotz Kontrollen und Strafen tatsächlich nicht wirklich. Oft im Gegenteil, in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger wird es meist eher noch schlimmer.

Das, was man dann in der Regel macht, ist, noch mehr davon zu fordern oder als Politiker zu den Wahlen zu versprechen. Weil man sich keine andere Lösung vorstellen kann. Und: „Weiß man ja“, dass das hilft. Um im Bild zu bleiben, noch ein Funkgerät zu schnitzen oder noch ein weiteres Flugzeug aus Bambus zu bauen, um die Götter anzulocken. Gleichwohl werden wohl die wenigsten Autofahrer nach einer Ordnungsstrafe wegen zu schnellem Fahren, sich in Zukunft reumütig genauestens an alle Regelungen halten. Was tun wir dann? Vielleicht haben wir einfach noch nicht genug Funkgeräte… Oder sollte man vielleicht mal mit den Menschen reden? Noch so ein Cargo-Kult…

Auch Videoüberwachung an bestimmten Plätzen kommt immer wieder mal hoch. Weiß man ja, ist ja klar, dass wenn die bösen Buben (und Mädchen) wissen, dass sie gefilmt werden, dann stellen sie ihr Treiben natürlich ein. Tun sie nicht. Zumindest nicht, wenn man neutralen, wissenschaftlichen Studien zu dem Thema glaubt. Die Aktivitäten werden eher verlagert (dann hat man das Problem eben woanders) oder die Täter ziehen sich eine Mütze über den Kopf. Wenn man sich auf die Studien der Kameraverkäufer beschränkt, werden die Ergebnisse besser…

Im Bereich der öffentlichen Ordnung finden sich viele solcher Beispiele. Aber auch in anderen Bereichen. Innenstadt? Gut, „weiß man ja“, der Handel muss einfach attraktiver gemacht werden. Dann kommen die Leute geströmt. Wenn wir den Einzelhändlern Geld beschaffen, um ihre Läden attraktiver zu machen, das hilft. Weiß man ja. Wir haben was gemacht, klopfen uns auf die Schultern. Die Innenstadt ist immer noch nicht attraktiv.

Kein Wunder, bei dem alten Pflaster. Wir brauchen neues Pflaster! Ja, lasst uns das Pflaster erneuern. Hat nichts genützt. Kommt immer noch kein Gott vom Himmel. Aber gut, ist ja auch klar. Grün fehlt. Götter mögen grün! Ja, lasst uns Grün in die Stadt bringen… Dann, irgendwann, verfliegt sich mal ein Flugzeug und an einem sonnigen, verkaufsoffenen Sonntag kommen viele Leute in die Stadt. „Seht Ihr? Wir haben es richtig gemacht! Wir haben es gut gemacht!“ Dann folgt wieder die Ernüchterung. „Vielleicht brauchen wir einfach noch ein paar Flugzeuge mehr…“

Die Probleme sind oft nicht einfach zu lösen. Und nicht einfach zu verstehen.

Sicherlich ist es absolut richtig, Dinge auszuprobieren. Und dabei Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Aber wenn man mit seinen Handlungen die Probleme nicht nachhaltig löst oder zumindest eine merkbare, positive Veränderung schafft, dann muss man seine Maßnahmen auch infrage stellen. Es ist nicht gut, immer wieder das Gleiche zu tun und immer wieder zu hoffen, dass dieses Mal ein anderes Ergebnis herauskommt.

Die Probleme heute sind oft komplex, die Dinge hängen eng mit anderen Dingen zusammen und es ist mit schnellen Lösungen nicht getan. Verändert man was an der einen Seite, passiert auch was an der anderen. Kollateralschäden entstehen – und es wird noch schlimmer.

Man wird nicht umhinkommen, sich mit den einzelnen Herausforderungen intensiv zu beschäftigen, zu lernen, zu verstehen, was da aus welchem Grund passiert. Man muss sich die Historie anschauen, wie sind die Dinge so geworden, wie sie sind. Ob das nun die Innenstädte, die Rücksichtslosigkeit der Verkehrsteilnehmer, das Einhalten von Recht und Ordnung sind oder was auch immer.

Wir werden genau das auf diesen Seiten hier immer wieder tun. Wir schauen uns Ansätze an, neue Herangehensweisen, zeigen, wie man die Dinge neu denken, wie man eine andere Perspektive einnehmen kann. Ansonsten bleibt uns noch, zu schauen, wie es andere machen und von ihnen zu lernen. Richtig lernen und verstehen steht dabei im Vordergrund und nicht das einfache Kopieren von Handlungen und Maßnahmen. Damit man eben genau nicht Cargo-Kulten unterliegt, sondern die Probleme tatsächlich löst. Sonst verbessern wir am Ende nur unsere Fähigkeiten, Funkgeräte aus Holz zu schnitzen.

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