Wenn Verwaltungen sich selbst im Weg stehen – was Parkinson über Bürokratie wusste

Wer heute Verantwortung in Städten trägt – ob im Rathaus, im Ehrenamt oder als engagierter Bürger –, kennt das Gefühl: Die Aufgaben werden größer, die Probleme drängender, doch die Verwaltung wirkt oft langsamer als je zuvor. Klimaanpassung, Wohnungsbau, Mobilitätswende, Digitalisierung – alles dringend, alles komplex. Und dennoch verlieren sich viele Kommunen in internen Abläufen, Abstimmungen und Detailfragen.

Die Organisationslehre befasst sich seit langem mit diesen Phänomenen. So hat zum Beispiel der britische Historiker und Verwaltungswissenschaftler Cyril Northcote Parkinson bereits Mitte des 20. Jahrhunderts Mechanismen beschrieben, die bis heute erstaunlich gut erklären, warum Verwaltungen wachsen, verlangsamen und sich manchmal von ihren eigentlichen Aufgaben entfernen. Seine sogenannten „Gesetze“ sind keine juristischen Vorschriften, sondern scharfsinnige Beobachtungen menschlichen Verhaltens in Organisationen – und gerade deshalb für Kommunen und für die, die sich mit Kommunen beschäftigen, hochrelevant.

Das Parkinsonsche Gesetz: Warum Arbeit immer länger dauert

Ursprung
Parkinson formulierte sein bekanntestes Gesetz 1955 in einem Essay für The Economist. Ausgangspunkt waren seine Erfahrungen mit staatlichen Verwaltungen im Vereinigten Königreich.

Kernaussage
Arbeit dehnt sich in dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht – unabhängig davon, wie aufwendig sie tatsächlich ist.

Was steckt dahinter?
Wenn für eine Aufgabe großzügige Fristen gesetzt werden, entstehen fast zwangsläufig zusätzliche Abstimmungen, Prüfungen, Rückfragen und Schleifen. Nicht, weil sie zwingend nötig wären, sondern weil sie möglich sind.

Beispiele aus dem kommunalen Alltag

  • Ein vergleichsweise einfacher Beschluss wandert durch mehrere Ämter, obwohl fachlich längst alles geklärt ist.
  • Projektlaufzeiten orientieren sich weniger am Bedarf als an Haushaltsjahren oder Sitzungskalendern.
  • Sitzungen werden routinemäßig lang angesetzt – und füllen sich dann auch.

Das Gesetz der wachsenden Bürokratie: Mehr Verwaltung, weniger Wirkung?

Ursprung
Parkinson analysierte historische Personalzahlen britischer Ministerien und stellte fest: Selbst als Aufgaben wegfielen, wuchs die Verwaltung weiter.

Kernaussage
Verwaltungen neigen dazu, unabhängig vom tatsächlichen Bedarf zu wachsen.

Warum passiert das?
Parkinson identifizierte zwei einfache, aber wirksame Mechanismen:

  • Führungskräfte schaffen sich Untergebene, keine gleichrangigen Mitbewerber.
  • Mitarbeitende erzeugen Arbeit füreinander – Berichte, Abstimmungen, Koordination.

So entsteht eine Eigendynamik, die mit den realen Herausforderungen einer Stadt oft nur noch lose verbunden ist.

Beispiele

  • Neue Koordinierungsstellen, die zusätzliche Abstimmungen nötig machen.
  • Digitalisierung führt nicht zum Abbau von Formularen, sondern zu digitalen Zusatzformularen.
  • Organisationsreformen schaffen neue Ebenen, statt Entscheidungswege zu verkürzen.

Das Gesetz der trivialen Dinge: Wenn Nebensächlichkeiten dominieren

Ursprung
Parkinson beschrieb dieses Phänomen ebenfalls in seinen Essays. International bekannt wurde es später unter dem Begriff „Bikeshedding“.

Kernaussage
Je einfacher ein Thema zu verstehen ist, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt es – unabhängig von seiner Bedeutung.

Was bedeutet das für Verwaltungen?
Komplexe, strategisch wichtige Fragen sind oft schwer zugänglich. Viele trauen sich nicht, sie offen zu diskutieren. Triviale Details dagegen laden zur Meinungsäußerung ein – und dominieren so Zeit und Energie.

Typische Situationen

  • Lange Debatten über Farbgestaltung, Logos oder Formulierungen, während grundlegende Investitionsentscheidungen kaum hinterfragt werden.
  • Ausschüsse verlieren sich in Detailfragen, während strategische Weichenstellungen vertagt werden.
  • Das „Wie“ überlagert das „Warum“.

Weitere Denkmodelle, die gut dazu passen

Parkinson stand mit seinen Beobachtungen nicht allein. Andere Autoren haben ähnliche Muster beschrieben, die sich in kommunalen Verwaltungen täglich beobachten lassen:

  • Das Peter-Prinzip (Laurence J. Peter): Menschen werden so lange befördert, bis sie eine Position erreichen, für die sie nicht geeignet sind. Besonders relevant, wenn Fachkompetenz automatisch zu Führungsverantwortung führt.
  • Bürokratische Verfestigung (Max Weber): Bürokratien sind stabil und berechenbar – aber sie neigen dazu, sich selbst zu erhalten. Regeln werden wichtiger als Ergebnisse.
  • Goodharts Gesetz: Sobald eine Kennzahl zum Ziel wird, verliert sie ihren Wert als Steuerungsinstrument. Ein bekanntes Problem bei Zielvereinbarungen und Controlling.
  • Pournelles Eiserne Gesetz der Bürokratie: In Organisationen setzen sich langfristig diejenigen durch, die Verfahren kontrollieren – nicht diejenigen, die Wirkung erzielen.
  • Pfadabhängigkeit: Einmal etablierte Prozesse werden fortgeführt, selbst wenn sie offensichtlich nicht mehr funktionieren.

Schlussgedanke: Erkenntnis als Voraussetzung für Veränderung

Die Gesetze Parkinsons erklären, warum Verwaltungen oft so handeln, wie sie handeln. Sie sind keine Entschuldigung, sondern ein Werkzeug zur Selbstreflexion. Wer sie kennt, erkennt Muster – und kann ihnen bewusst entgegenwirken.

Zukunftsfähige Städte brauchen leistungsfähige Verwaltungen. Dafür reicht es nicht, neue Aufgaben zu definieren oder Strukturen umzubauen. Es braucht den Mut, Routinen zu hinterfragen, Prioritäten klar zu setzen und Verantwortung wirklich zu übertragen.

Die Probleme unserer Städte sind komplex. Ihre Lösungen werden nicht daran scheitern, dass wir sie nicht verstehen – sondern daran, ob wir bereit sind, unsere eigenen organisatorischen Gewohnheiten zu ändern.

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